Expeditionsberichte: Schweiz 2000

Einmal Muttseehöhle und zurück - ein Wochenende in den Glarner Alpen

Behm, Michael

-> Wer Kontakte pflegt, kommt herum. So auch der Verfasser dieser Zeilen, welcher dank der Bekanntschaft zu Höhlenforschern aus der Ostschweiz Mitte September ein paar abwechslungsreiche Tage in unserem westlichen Nachbarstaate zubringen durfte. Ziel der von Zürich ausgehenden Unternehmung sollte eine Biwaktour in die Muttsehöhle werden. An dieser Stelle gleich die 'hard facts' zur Höhle: Gelegen in einer Seehöhe von 2450 m, weist sie derzeit eine Länge von rund 8 km auf und belegt mit einer einer Tiefe von 1060 m den zweiten Platz in der eidgenössischen Tiefenliste. (Die ungenaue Längenangabe resultiert aus dem schwachen Gedächtnis des Autors, und nicht etwa einer flüchtigen Vermessung - im Gegenteil, auch in den Höhlen wird mit typischer Schweizer Präzision gearbeitet.) Ehemals als Schlinger des jetzt über einen Druckstollen abgeleiteteten Muttsees fungierend, konnten die Ersterforscher die Höhle nach 'Durchsägen' des den Eingang versperrenden Eispfropfens betreten und in mehreren Expeditionen bis zum Tiefstpunkt befahren. Die ob so flotter Erforschung beleidigte Höhle verschloß sich darauf wieder mit einer undurchdringbaren Eismauer, was die Forscher zur Suche nach einem zweiten Eingang veranlaßte. Objekt der Begierde und des Erfolgs wurde die Marmorhöhle, direkt neben dem Muttsehöhleneingang gelegen. Die Verbindung gelang trotz mehrerer Hindernisse - u.a. der 90 m tiefen Wasserfallstufe 'piéce de resistánce' (Stück des Widerstands) und der rein technischen Querung des 200 m-Schachtes 'Apokalypse'.

Yvo, der Hausmeister der Höhle, empfing Andi und mich am Züricher Bahnhof, von wo aus es mit der Bahn nach Linntal ging, wo auch das das Kraftwerk, welches die Wässer des Muttsees nutzt, situiert ist. Mit der kraftwerkseigenen Seilbahn wurden die ersten paar hundert Höhenmeter überwunden. Das nächste Wegstück gab einen guten Vorgeschmack auf die Höhle - zweieinhalb Kilometer ging es durch einen großräumigen, schnurgeraden Stollen. Etappe Nummer 4 stellten die 650 Höhenmeter bis zur äußerst netten Muttseehütte dar.

Die überwältigende Gegend um den Muttsee herum erinnert an eine Marslandschaft (mit Aunahme des Sees selbst vielleicht). Rötliche, steil aufragende Türme umgeben den großen See, in welchem auch schon Gebirgsforellen ausgesetzt wurden. Pompt fanden wir auch eine Angel...Das schiefrige Gestein geht nach Süden in eine zunächst nur wenige Zehnermeter mächtige Kalkschicht über, in welcher sich das gewaltige Portal der Muttseehöhle findet - mit einem nicht minder gewaltigen Eispfropfen. Der hingegen enge Einstieg zur Marmorhöhle wird für Winterexpeditionen mit einem 5 m hohen Holzturm vor Verschneiung geschützt.

Ein Blick auf die Speisekarte der Hütte entmutigte mich ein wenig: Ausgeschrieben waren Suppe, Wurst und Käse. Umsonst erschreckt - beim Betreten erwartete uns schon eine Flache Rotwein, und in mehreren Kasserollen und Töpfen Gamsbraten, Polenta, Röstie und Rotkraut mit Äpfeln. Hans und Lisbeth, die Pächter, kochen für nächtigende Gäste jeden Abend dermaßen auf.

Am nächsten Morgen sollte es dann losgehen: Obwohl zweimaliges Übernachten in der Höhle geplant war, fielen die Schleifsäcke eher leicht aus, weist die Muttseehöhle auf -700 m doch ein vollständig eingerichtetes Biwak auf. Die erste Ernüchterung folgte auf den Fuß: Der Eingangsturm der Marmorhöhle erinnerte an den Schiefen Turm von Pisa - die winterlichen Schneemassen hinterließen ihre Spuren in Form eines Knickes. Trotzdem zwängten wir uns hinein - es konnte losgehen. Die eingangsnahen Teile der Marmorhöhle sind engräumig und auch im Sommer noch teilweise mit Eis überzogen. Der Name kommt übrigens nicht von ungefähr - man befindet sich wirklich im wunderschön graublauen uns saubersten Marmorgestein. Die großteils phreatischen Profile lassen einen Vorgeschmack auf die Situation bei Schneeschmelze erahnen. Auf dem Weg ist man übrigens ständig von einem Gerinne begleitet - Superschlaz ist hier Voraussetzung, allerdings war meiner nur geborgt und eine Nummer zu klein. Bald weitet sich der Gang, und die nächsten Hindernisse wollen überwunden werden: Wassergefüllte Kolke, oft mehrere Meter lang und vor allem tief. Beim Hinweg konnte ich sie noch souverän überspreizen...Die ersten Schachtstufen folgten, und bald standen wir auf -150 m, vor obig erwähntem 90 m - Abbruch. Mir wurde leicht mulmig: Aus dem Schachtraum dröhnte ein gewaltiger Wasserfall, aus der Decke plätscherte überall es munter hervor, und das umgebende, mittlerweile schwarze Gestein versprühte auch ein leicht morbides Flair. Yvo, welcher im Spätsommer auch noch nie hier war, war auch ein wenig erstaunt, was ihn allerdings nicht daran hinderte, sich die Sache, sprich die Wasserführung im Schacht näher anzusehen. Er seilte sich ab und kam nach wenigen Minuten ziemlich durchfroren und mit einem Kopfschütteln wieder herauf. Damit war die Unternehmung gestorben - aber besser die Unternehmung als wir, dachte ich. Yvo meinte, wenn wir schon mal hier sind, können wir uns noch etwas ansehen, nämlich den Bach, welcher aus einer Seitenkluft in den Schacht stürzt. Wir querten den Schacht, seilten uns ca. 50 m ab und standen in erwähnter Kluft. Ich verwöhnter Trockenforscher rang, in der Gischt stehend, nach Luft und Superlativen für 'beeindruckend' und 'überwältigend': Der Bach hatte eine Schüttung von gut 200 - 300 l/s. Überall aus dem Blockboden quoll und schoß die kalte Flut hervor. In diesem Bach hätten wir uns die letzten 20 m abseilen müssen... Mittlerweile schon etwas durchnäßt, machten wir uns auf den Rückweg. Bei einem Kolk passierte das Unvermeidliche: Der linke Fuß gab nach nach, und mitsamt Schleifsack versank ich - allerdings dank mir bis heute nicht ganz klarer Verspreizungskünste nur bis zur Hüfte. Nach Entleerung der Gummistiefel ging die mühsame Schlieferei weiter. Beim Eingang angelangt, war ich etwas k.o., kalte Beine, der ewige Kampf gegen einen zu kleinen Schlaz und suboptimale Kondition forderten ihre Tribut. Yvo war auch etwas enttäuscht, er hatte nicht mit soviel Wasser gerechnet.

Am späten Nachmittag wendete sich die Stimmung zum besseren, zumal wir auf der Hütte neben den obligaten Bergsteiger-Zeitschriften auch erfrischend andere Magazine wie 'Brigitte' und 'Girls' in die Hände bekamen. Wir beschlossen, am nächsten Tag nicht zur Seilbahn zur marschieren, sondern über den Kistenpass (2729 m) nach Süden, direkt in das Tal des Rhein-Ursrprunges. Landschaftlich wieder äußerst beeindruckend und abwechsungsreich, beschloß dieser 5-Stunden-Marsch mit Gummistiefel und Höhlenforscherrucksack das Wochenende mit einer besonderen Note.

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